An diesem Tag lungerte ich mit einem Freund, Steine ins Wasser schmeißend, auf einer Brücke über der Pleiße herum. Wir stromerten damals noch viel durch die Gegend, spielten Fußball oder saßen am dreckigen Fluss. Von weitem sah ich den Schäfer, wie er vor seiner Herde hertrottete und mit dem Ruf „Hans, komm!" den Leithammel, einen kastrierten Bock, hinter sich herlockte. Dem Schafbock folgte eine kleine Herde Mutterschafe mit ihren Lämmern.

Selbstverständlich ging der Schäfer mit dem Rücken zur Herde, den Weg vor sich im Blick. Als Schäfer lernt man, nicht rückwärts vor der Schafherde zu gehen, die Stolpergefahr ist zu groß. Bei einer Hüteprüfung bekommt man dafür sogar Punktabzug. Beim Laufen mit einer Schafherde soll es ein Schulterblick wie beim Autofahren sein. Die Ausführung der „Herdenfortbewegung” im Zusammenwirken mit den Lockrufen des Schäfers war vorbildlich. Nur der kastrierte Bock nahm das „Hans, komm!" wohl etwas zu wörtlich.

Der 100kg-Hammel Hans musste da etwas missverstanden haben. Er zog auf, wie die Schäfer sagen. Das bedeutet, dass er fünf Schritte vor lief, dann drei bis vier zurück, um den Abstand zwischen sich und dem Ziel auf ein genaues Maß zu bringen. Man kennt das auch von den Hirschen, wenn sie um die Weibchen kämpfen. Bei den Schafen ist das Ziel in der Regel ein anderer Schafbock. Hier war aber keiner.

Nachdem Hans nun den optimalen Abstand erreicht hatte – wir Jungs saßen auf der Brücke und konnten das genau und stillschweigend verfolgen – donnerte er los. Das sah sehr imposant aus. Der Schäfer, ein ehemaliger Schmied, ca. 1,65 Meter groß und ebenso breit, war nicht zu verfehlen. Hans hatte Geschwindigkeit aufgenommen, raste nach vorn und traf den Schäfer von hinten. Ich tippte für den Einschlag des Hammelkopfes auf Steiß oder Hinterteil, das war von unserem Platz leider nicht ganz genau zu erkennen. Aber der Schäfer flog, er flog richtig.